Blogpost: Teams beweisen sich im Stress

„Das Wissen und die Erkenntnisse über Teams im professionellen Mannschaftssport sind erstaunlich dürftig.“ Ein provokanter Satz – aber genau diese These möchte ich gleich zu Beginn aufstellen: Das Team als Organismus ist im professionellen Leistungssport fundamental missverstanden.

Die Forschung und das Verständnis über Teams im Profisport sind in zwei zentralen Bereichen unzureichend:

  1. Die Bildung eines leistungsorientierten Kollektivs.
    Wie coache ich ein Team wirklich als Kollektiv – nicht nur als Ansammlung von Einzelsportlern?

  2. Die Auswirkung von Stress auf die Teamstruktur.
    Was bedeutet Stress für die Dynamik und Leistungsfähigkeit eines Teams?

Das Paradox von Team und Leistung

Teams im Profisport stehen in einem grundlegenden Spannungsfeld:
„Das Leistungssystem braucht die Gemeinschaft, um erfolgreich zu sein – doch die pure Leistungsorientierung zerstört diese Gemeinschaft.“

In meinen über 15 Jahren Erfahrung als Teamcoach im professionellen Mannschaftssport wurde mir immer wieder bewusst: Teamdynamiken bekommen weder die notwendige Aufmerksamkeit, noch sind ihre Auswirkungen auf die Teamleistung ausreichend bekannt. Trainer:innen schöpfen ihre Einflussmöglichkeiten oft nicht aus – oder sind schlicht überfordert.

Denn während im Profisport fast alles ausgelagert wird – von der medizinischen Betreuung über Athletik, Physiotherapie und Sportpsychologie bis hin zur Ernährungsberatung – bleiben die psychosozialen Dynamiken weiterhin in der Verantwortung der Trainer:innen.

Doch genau hier liegt das Problem: Die Komplexität dieser Dynamiken ist für Trainer:innen kaum zu bewältigen. Der Umfang ist groß, die Methoden unterscheiden sich stark vom klassischen Coaching – und vor allem: Trainer:innen sind Teil des Systems. Sie bewerten Leistungen, treffen Entscheidungen und sind selbst Akteure im Beziehungsgeflecht. Daraus entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis und eine objektive Kommunikationsbarriere, die es schwer macht, das Team nachhaltig zu entwickeln.

Diese strukturellen Herausforderungen werden oft übersehen – und somit auch die Notwendigkeit, sie aktiv anzugehen.

Teamgeist braucht Struktur und Anreize

Eine gemeinsame Verantwortung im Team zu etablieren, ist eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben im Teambildungsprozess. Dieser Prozess muss kontinuierlich reflektiert werden. Ebenso entscheidend ist: Teamdienliches Verhalten muss sich auszahlen – sei es in Spielzeit oder Anerkennung.

Nur wenn sich Zusammenarbeit und Teamorientierung lohnend anfühlen, wird ein echter Teamgeist entstehen. Dafür braucht es eine strukturelle Verankerung im Training und im Wettkampf – es darf keine reine Absichtserklärung bleiben. Wer Teamgeist ernst meint, muss diesen auch belohnen und fördern.

Ein Beispiel aus der Praxis: Selbst ein herausragender Teambuilder wie Mike Taylor nahm aus der Aufstiegssaison der Hamburg Towers wichtige Erkenntnisse über Teamcoaching mit. Laut seiner Aussage war die Coaching-Arbeit der entscheidende Faktor im entscheidenden Moment – im alles entscheidenden Finale, Spiel 5 in Chemnitz, in einer Situation voller Druck und Stress.

Denn genau hier zeigt sich die wahre Qualität eines Teams: Im Stress zusammenhalten.

Stress als Prüfstein für Teams

Was bedeutet der Faktor Stress für ein Team?
Teams agieren im Profisport permanent unter Stress. Dieser Stress prüft den Zusammenhalt – immer und immer wieder.

Ein kurzer Exkurs: In der Wissenschaft unterscheidet man zwischen aufgabenbezogenem Zusammenhalt (task cohesion) und sozialbezogenem Zusammenhalt (social cohesion). Während der aufgabenbezogene Zusammenhalt nachweislich leistungssteigernd wirkt, wurde der sozialbezogene Zusammenhalt lange als „leistungsneutral“ betrachtet. Doch er hat einen anderen entscheidenden Effekt: Er stärkt die Konfliktbewältigung und das Durchhaltevermögen in Krisensituationen.

Zurück zum Profisport: Der Stress hört nie auf. Fehlendes Vertrauen, Konkurrenzkampf, kurzfristige Verträge – all das prägt den Alltag im Leistungssystem. Jeder kämpft um seinen Platz. „Jeder ist sich selbst der Nächste“ – diese Realität prägt viele Teams.

Wer hier nicht ansetzt, läuft mit Teammaßnahmen ins Leere. Oberflächliche Maßnahmen verbrauchen wertvolle Zeit und emotionale Ressourcen, ohne die Realität zu adressieren.

Warum aber wird diese Realität nicht offen angesprochen?
Weil oft angenommen wird, eine Konfrontation mit diesen Themen sei nicht teamförderlich. Doch das ist ein Trugschluss.

Die zentrale Frage: Wie halten wir im Stress zusammen?

Die vielleicht modernste und wichtigste Frage im Teamsport lautet:
„Wie können wir kurzweilige, professionelle und stressresistente Beziehungen aufbauen?“

Die Antwort darauf ist nicht kognitiv – sie ist emotional. Sie basiert auf der Beziehungsebene. Vom ersten Tag an muss die Perspektive lauten: „Wie wollen wir miteinander umgehen, wenn der Stress kommt?“
Denn wenn der Stress bereits da ist, ist es zu spät, um Haltungen und Kommunikationsmuster zu etablieren.

Viele Teams reflektieren erst dann über ihre Dynamik, wenn destruktive Muster längst wirksam sind. Ehrlichkeit und Direktheit werden dann oft als Angriff empfunden. Konflikte werden verdrängt – bis es nicht mehr geht.

Am Ende bleibt eine entscheidende Frage:
„Warum sollten wir im Stress zusammenhalten?“

Die einzige nachhaltige Antwort lautet:
„Weil mir die Beziehung zu meinem Teamkollegen oder meiner Teamkollegin wichtig ist.“
Abstrakte Ziele oder der „übergeordnete Erfolg“ allein reichen als Motivation nicht aus.

Es sind die gemeinsamen Erfahrungen, die ehrlichen Begegnungen und die gemeinsam bewältigten Konflikte, die Teams wirklich zusammenführen – auf und neben dem Spielfeld. Alles andere ist Wunschdenken.

Die zentralen Learnings (Takeaways)

  • Die größte ungenutzte Ressource im professionellen Mannschaftssport ist die Steuerung psychosozialer Teamdynamiken.

  • Ein verantwortungsvolles Kollektiv zu formen, ist eine komplexe, oft unterschätzte Aufgabe für Trainer:innen.

  • Der Umgang mit Stress bietet Teams einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
    Teamförderliche Verhaltensweisen müssen strukturell im Training verankert und anerkannt werden.

  • Eine regelmäßige Reflexion mit dem Team über das „Wie“ ist essenziell.

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